Mein Weg in die agile Softwareentwicklung

Feedback ist k/eine Beurteilung

In vielen Unternehmen werden Mitarbeiterbeurteilungen (z.B. in Form von Jahresgesprächen) durchgeführt, die eine Grundlage für die erfolgreiche Entwicklung eines Menschen in einem Unternehmen sind. Dies beinhaltet Boni, Karrierechance, Weiterbildungen usw. Oftmals wird dies als Feedback oder Feedbackgespräch bezeichnet.

Dazu habe ich Anmerkungen!

Ein Feedback ist keine Beurteilung und das lässt sich an verschiedenen grundsätzlichen Aspekten festmachen.

Zur Beurteilung

Skalierung

Beurteilungen versuchen Menschen anhand einer Skala einzuordnen, d.h. sie ordnen Menschen gemäß ihrer vermeintlichen Eignung für einen Geschäftsaspekt in einer Range von „sehr gut geeignet“ bis „nicht geeignet ein“. An einer solchen Beurteilung hängen sicherlich auch Karrierechancen und Gehaltsvorteile (z.B. Boni) und das ist ja auch genau ein Zweck einer Beurteilung. Des Weiteren sind die Aspekte, nach denen beurteilt wird, Kriterien, die nur vermeintlich geeignet sind, die Eignung eine:r Mitarbeiter:in festzustellen, da sie konzernglobal gelten und versuchen alle Menschen über einen Kamm zu scheren.

Natürlich gibt es unzählige Varianten, die sich an Kompetenzen orientieren oder weiche (Persönlichkeitsmerkmale) oder harte Faktoren (Fachwissen, Ausbildung) berücksichtigen. Allen gemeinsam ist, dass mit Hilfe der Beurteilung ein Urteil über einen Mitarbeiter gefällt wird. Gut oder schlecht, passt oder passt nicht, geeignet oder nicht geeignet; und alle Variationen und Zwischentöne auf einer dazwischen liegenden Skala.

Objektivität

Der Wert einer Beurteilung setzt voraus, dass sie objektiv stattgefunden hat, denn eine subjektive (d.h. vom Empfinden und Wohl und Wehe des Beurteilenden abhängige) Beurteilung macht keine verwertbare Aussage über den Beurteilten, eher schon über den Beurteilenden. Welche Stilblüten das annehmen kann sieht man an den Formulierungen von Arbeitszeugnissen, deren alleinige Aussagekraft für die Eignung eines (neuen) Mitarbeiters ich persönlich für sehr fragwürdig halte.

Die angestrebte Objektivität ist in der Praxis de facto nicht zu erreichen, da jeder Mensch, insbesondere wenn es um eine Beurteilung geht, seine subjektiven Empfindungen mit einfließen lässt.

Vergangenheit – Zukunft

Beurteilungen machen Aussagen über die Vergangenheit für die Zukunft, was an sich schon kurios anmutet. Dadurch, dass ich das vergangene Verhalten eines Menschen beurteile, versuche ich eine Aussage über seine Zukunft zu machen. Das lässt völlig außer Acht, welche Lehren ein Mensch (bereits) gezogen hat, welche Entwicklung er genommen hat und noch nehmen wird. Und es setzt voraus, dass dieser Blick in die Zukunft aufgrund Beurteilungsschemas überhaupt möglich ist. Ich behaupte: das geht nicht; der Blick in die Zukunft ist uns naturgegeben versperrt, was ich für eine Binsenweisheit halte.

Bezugsrahmen

Eine Beurteilung macht nur auf der obersten Ebene eine Aussage über den/die l Beurteilte:n. Tatsächlich sagt eine Beurteilung mehr über die Sicht des/der Beurteilenden aus. Dieser Mensch gibt das Statement ab und zieht i.d.R. das Gegenüber nicht mit ein. Es wird die Sicht des/der Beurteilenden auf einen anderen Menschen wiedergegeben.

Menschenbild

Eine Beurteilung schreibt einem Menschen einen Wert zu; gut, schlecht, geeignet, ungeeignet uvm. Dabei geht es drum festzulegen, ob eine Investition in einen Menschen (Boni, Gehalt, Weiterbildung usw.) sich voraussichtlich rentieren wird. Das ist eine meiner Meinung nach alte und leider auch ungeeignete Sicht auf den Menschen: der Mensch als Ressource, die maximal gewinnbringend einzusetzen ist. Ungeeignet deshalb, weil diese Sicht eindimensional ist, da sie die Vielschichtigkeit des Menschen auf die Wertbildung im Unternehmen völlig außen vor lässt.

Anekdote: In einem Unternehmen versuchte man anhand bestimmter Kriterien die Low-Performer herauszufinden und hat diese dann entlassen. Man versprach sich davon eine deutlich gesteigerte Produktivität. Tatsächlich ist das Gegenteil eingetreten: die Produktivität brach ein. Ein genauerer Blick im Rahmen einer Untersuchung zeigte, dass die entlassenen Mitarbeiter großen Anteil am sozialen Gefüge der Teams hatte (losgelöst von ihrer eigentlichen Arbeit) und dieses durch die Entlassungen zusammengebrochen war.

Eigentlich gehen wir doch in einem modernen Menschenbild davon aus, dass jeder Mensch einen Wert an sich hat. Einen Wert, der nur im Kontext, zu einem bestimmten Zeitpunkt, gemäß seiner persönlichen Situation, im Rahmen des Sozialkonstrukts Team oder Unternehmen usw. bestimmt werden kann. Eine Aufgabe, die derart komplex ist, dass man sie kaum bewerkstelligen kann.

Hierarchie und Misstrauen

Eine Beurteilung obliegt dem dafür Ermächtigten und das ist nunmal i.d.R. der Vorgesetzte. Wir befinden uns also in dem bekannten Konstrukt von Untergebenen und Chef in einer hierarchischen Ordnung.

Einer solchen Beurteilung wird man immer mit gemischten Gefühlen entgegenblicken. Zwar kann ein solches Verhältnis von gegenseitigen Vertrauen, Offenheit und Transparenz gekennzeichnet sein, ist es aber oftmals aufgrund der Belastung durch die Hierarchie nicht. Eine Führungsperson kann qua Definition der Rolle nicht alles mit dem Untergebenen teilen. Das Verhältnis ist immer durch die Hierarchie latent belastet, was dazu führt, dass die Führungsperson den Untergebenen als unter ihm/ihr stehend, zu beobachten, zu hinterfragen und damit zu misstrauen sehen wird.

Vergleichbar ist die Sicht des Untergebenen: Da persönliche Vor- und/oder Nachteile im Raum stehen, wird die Rolle des Chefs misstrauisch beäugt, um eine Vorstellung davon entwickeln zu können, wie man wohl die Beurteilung zum eigenen Vorteil gestalten könne.

Eine Beurteilung ist damit ein Führungselement alt-hergebrachter Strukturen und in die Jahre gekommener Modelle von Führung.

Zum Feedback

Skalierung

Ein Feedback versucht aufgrund einer Beobachtung eine qualitative Einordnung vorzunehmen. Man geht also nicht mehr davon aus, dass jemand „geeignet“ oder „ungeeignet“ sei, sondern vermeidet die Einordnung auf einer quantitativen Skala grundsätzlich.

Feedback vermeidet Kategorien der Arbeit zu nutzen (die für eine Vergleichbarkeit von Beurteilung wichtig sind s.o.), sondern strebt darüber hinausgehend eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen an.

Das mutet im ersten Moment schwierig oder komisch an, wird aber hoffentlich klarer, wenn ich im nächsten Abschnitt auf die Subjektivität zu sprechen komme.

Subjektivität

Der/die Feedbackgebende versucht das Feedback bewusst aus einer sehr subjektiven Perspektive zu gestalten. Das versucht man dadurch, dass man sich in den Aussagen eines Feedbacks an der sogenannten gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg (https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltfreie_Kommunikation) orientieren. Ein einfaches Schema für eine Aussage wäre dann: Beobachtung – Wirkung – Wunsch.

Beispiel: „Ich habe beobachtet, dass du in Meetings schnell das Wort ergreifst. Dadurch fühle ich mich zurückgesetzt, weil ich immer etwas länger brauche, um meinen Beitrag zu formulieren. Ich würde mir wünschen, wenn du einen Moment wartest, damit ich zu Ende denken kann.“

Dieses Beispiel überlässt es dem Feedbacknehmer einen Schluss daraus zu ziehen. Ob „schnell das Wort ergreifen“ nun für die gemeinsame Arbeit eher positiv oder negativ ist, bleibt bewusst offen. Es beschreibt aber die Auswirkungen auf den Feedbackgeber, was auf die Beziehung zwischen Feedbackgeber und -nehmer einzahlt und im besten Falle eine Handlungsanpassung beim Feedbacknehmer initiert.

Die Erkenntnis, dass es eine objektive Sicht eh nicht geben kann, wird hier bewusst zu einem Vorteil umgewandelt, indem die Subjektivität eines Feedbacks nutzbar gemacht wird.

Vergangenheit – Gegenwart

Feedback ist nicht geeignet zukünftige Verhaltensweisen vorherzusagen, es öffnet aber den Raum für sinnvolle Einstellungs- und Verhaltensänderungen in der Gegenwart. Während eine Beurteilung versucht zukünftiges Verhalten aus der Verganglenheit zu antizipieren, ist die Gegenwart das Ziel eines Feedbacks.

Also: Feedback beschreibt das beobachtete Verhalten der Vergangenheit, stellt die Auswirkungen auf den Feedbackgeber dar und wünscht sich etwas für den aktuellen Moment.

Bezugsrahmen

Feedback sieht die Subjektivität der Aussage als gegeben an. Dass Feedback in erster Linie etwas über den Feedbackgeber aussagt, nutzt dieses Konzept um Augenhöhe herzustellen. Wenn der Feedbackgeber nur von sich berichtet (Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch), dann gibt es zunächst einmal keinen Grund für den Feedbacknehmer angegriffen zu sein.

Feedback lässt Menschen sein: Wahrnehmung und Wirkung sind nicht kritikfähig, da rein subjektiv. Der Wunsch ist keine Aufforderung und es liegt im Ermessen des Feedbacknehmers diesem Wunsch nachzukommen oder nicht.

Menschenbild

Dadurch, dass Augenhöhe hergestellt wird, wird auch ein anderes Menschenbild vermittelt. Die Prämissen dieses Bildes sind beispielsweise:

  • Alle Menschen sind gleich wert.
  • Arbeit geschieht in einem sozialenRahmen, der ohne Gewalt (in der Kommunikation) und durch gegenseitigen Austausch gestaltet werden muss.
  • Menschen sind in der Lage sich weiter zu entwickeln, wenn man ihnen die Gelegenheit gibt, den Rahmen gestaltet und innerhalb dieses Rahmens den Raum lässt.
  • Die Eignung für eine bestimmte Geschäftsaufgabe (und der damit verbundenen Boni, Gehälter und Karrierechancen) wird unter den beteiligten Personen ausgehandelt und nicht von einer Führungskraft „ex Cathedra“ bestimmt.

Hierarchie und Mistrauen

Feedback geht von Augenhöhe aus, auch wenn es de facto ein Vorgesetzen-Untergebenen—Verhältnis zwischen Feedbackgeber und Feedbacknehmer gibt. Dies setzt natürlich ein großes Maß an Vertrauen voraus.

Ist ein vertrauliches Miteinander im Rahmen eines Feedbacks nicht gegeben, so stellt das natürlich ein Hinderniss dar und meine Empfehlung wäre, zunächst an dem Vertrauen zu arbeiten. Aber Feedback ist auch ein geeignetes Mittel Vertrauen zu erzeugen, z.B. dadurch, dass der Vorgesetzte zunächst um ein vertrauensvolles und offenes Feedback bittet. Noch besser wäre, wenn der ganze Prozess durch einen entsprechend ausgebildeten Coach begleitet wird.

Augenhöhe steht gegen Hierarchie, der Prozess (korrekt durchgeführt) erzeugt Vertrauen und steht Misstrauen entgegen.

Feedback ist somit ein Element lateraler Führung und ist als ein Baustein geeignet eine soziale Gruppe (Team, Abteilung, Unternehmen) im positiven Sinne zu beeinflussen.

Und wenn ich doch eine Beurteilung durchführen will, soll oder muss?

Ja, dann ist das so. Aber bitte nennen sie es nicht Feedback und halten sie die beiden Prozesse voneinander getrennt.

tl;dr

Feedback und Beurteilung sind zwei unterschiedliche Prozesse, die sich anhand einiger Aspekte klar unterscheiden lassen. Das eine kann das andere nicht ersetzen, beides sollte streng von einander getrennt sein und bleiben, um die Vorteile des einen nicht durch die Nachteile des anderen zu verlieren.

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